Die Jahresabschlüsse der Wirecard AG

Das Landgericht München I hat auf die Klage des Insolvenzverwalters die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse der Wirecard AG zum 31.12.2017 und 31.12.2018 sowie der darauf aufbauenden Gewinnverwendungsbeschlüsse der Hauptversammlungen festgestellt.

Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG hatte seine Klage insbesondere darauf gestützt, dass in den beiden Jahresabschlüssen verbuchte Third Party Acquiring-Geschäfte tatsächlich nicht durchgeführt worden waren. Bei derartigen Third Party Acquiring-Geschäften bediente sich die Wirecard AG in Regionen, in denen sie selbst nicht über die erforderlichen Lizenzen verfügte, Partnerunternehmen („TPA-Partner“) zur Durchführung von Zahlungsvorgängen im Zusammenhang mit Kreditkartentransaktionen, wobei diese TPA-Partner die erforderlichen Lizenzen haben sollten. Die Wirecard AG sollte dann ihre Kunden – also Händler – an die TPA-Partner vermitteln, die sodann die Zahlungsabwicklung für diese Kunden übernehmen sollten. Die Abwicklungsgebühren vereinnahmten die TPA-Partner, obwohl sie eigentlich der Wirecard AG hätten zustehen sollen. Die TPA-Partner sollten dann eine Provision erhalten, die dann wiederum durch den jeweiligen TPA-Partner auf Treuhandkonten eingezahlt und nicht an die Wirecard AG ausgeschüttet werden sollte.

In seinem Urteil musste das Landgericht München I nicht abschließend entscheiden, ob die Saldenbestätigungen für Treuhandkonten bei einer asiatischen Bank tatsächlich gefälscht waren und die entsprechenden Third Party Acquiring-Geschäfte zumindest im Wesentlichen nicht stattgefunden haben. Nach diesem Vortrag müsste von einer Überbewertung von Aktiva ausgegangen werden, woraus sich aufgrund von § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG die Nichtigkeit ergibt. Denn selbst wenn die vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden geltend gemachte Existenz dieser Gelder auf anderen Konten stimmen sollte, würde sich die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse dennoch ergeben. In diesem Fall läge ein Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung vor, weil die Einzahlungen der Gelder dann auf anderen Konten hätten aufgefunden werden müssen. Dadurch wären gläubigerschützende Vorschriften verletzt, was gem. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG ebenfalls die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse zur Folge hat.

In beiden Sachverhaltskonstellationen bejahte das Landgericht München I auch die Erheblichkeit des Fehlers, weil die Überbewertung etwa 39 % bzw. 41 % der jeweiligen Bilanzsummen von knapp € 1,9 Mrd. bzw. etwas mehr als € 2,3 Mrd. ausmachte. Die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse hat aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG die Nichtigkeit der in den Hauptversammlungen der Jahre 2018 und 2019 gefassten Gewinnverwendungsbeschlüsse zur Folge. Eine Beweisaufnahme zur Existenz der Third Party Acquiring-Geschäfte musste daher nicht stattfinden, weil der abweichende Vortrag vor allem des dem Verfahren als Streithelfer auf Seiten der Wirecard AG beigetretenen früheren Vorstandsvorsitzenden zu keinem anderen Ergebnis führte als der Vortrag des Insolvenzverwalters.

Landgericht München I, Urteil vom 5. Mai 2022 – 5 HK O 15710/20